Da heulen die Rasenmäher. Laubsauger und Heckenscheren übertönen das gesprochene Wort. Auf dem Grabstein der Laptop, daneben eine Lautsprecherbox: „Magst du kurz sagen, was so dein Bezug zu Rosdorf ist?“ „Für mich war Rosdorf früher der Ort, an dem mein Freund Alex gelebt hat. Eigentlich ist es für mich ein Un-Ort, weil es ist ein Ort, der ganz ganz doll für etwas steht, was fehlt“, sagt Tom Schmidt im Interview mit zwei Schülerinnen. Wir hören diese Sätze über den Lautsprecher, während wir vor dem Grab von Alexander Selchow im Kreis sitzen. Sein Portrait in einem kleinen ovalen Rahmen vor dem Ankh-Kreuz. Ein junger Mann, 1991 von 2 Neonazis ermordet. Er lächelt auf dem Foto. Wie alt er jetzt wäre? Mitte 50 – älter als ich es bin, jetzt und hier. Aber er ist nicht hier. Er ist nur 21 Jahre alt geworden.
Und ich frage mich, wie alt ich war 1990. Gerade mal 7, behütet in meinem kleinen Dorf bei Hildesheim. Neonazis, was ist denn das? Das einzige, was uns suspekt war, waren die Jugendlichen, die den Spielplatz okkupierten, abends oder die ledigen Jungbauern, die durchs Dorf liefen und Gartentore abbauten – unsere Mutter musste mit ihnen tanzen, damit sie es wieder rausrückten. „Schließt den Fahrradschuppen ab“, ermahnte sie uns, wenn wieder komische Zeichen und Worte auf die Straße gemalt waren, mit weißer Farbe. Ich konnte nicht lesen. Seltsame Welt in der Seltsames auf die Wege geschrieben wurde – seltsam und ein bisschen gefährlich. Aber Neonazis, das kannten wir nicht.
Später die Punks an den Bahnhöfen und der Passarelle in Hannover, die fielen auf. Und auch die Skinheads, die Neonazis – jetzt erinnere ich mich – waren im Stadtbild vertreten. Das war später, da war ich bestimmt schon 13 Jahre alt. Da war Alexander schon gestorben – erstochen, weil er gerade da lang ging, wo die zwei Neonazis waren, weil er vielleicht auffiel, weil er Grufti war und weil die Menschenfeindlichkeit in diesen jungen Männern lebte: der Hass gegen Andersdenkende, gegen Linke, gegen Gruftis, gegen Homosexuelle, gegen Migranten – Hauptsache gegen.
All das denke ich, während das Interview läuft und Karsten Knigge berichtet. Denke das vor dem Grab von Alexander und verstehe nichts, denn die Laubbläser und Rasenmäher lärmen von Rechts und Links – übertönen einander. Und ich merke einen Zorn in mir: Ich bin dagegen! Ich hier in der Mitte, neutral, mit der Ausrichtung meiner Aufmerksamkeit auf Alex, auf diesen jungen Mann, den ich nicht kenne. Was kümmert das die Gärtner? Mein Zorn wütet in mir, nicht in den Maschinen oder den Rabatten, nicht in fallenden Ästen, die wurden nur in Form gebracht, die Hecken und Büsche, damit alles seine Ordnung hat und weil es schönes Wetter ist und 15 Uhr und weil man jetzt wieder Krach machen darf – nach der Mittagspause.
Das ist sehr deutsch, und der Wunsch, sie zur Ruhe, zur Ordnung zu rufen auch. Ich bin Deutsch – dahingehend! Wie viele Andere sind es auch und wie viele Andere sind anders?
Zeigen wir uns offenherzig!
Löschen wir den Zorn in uns!
Lassen wir die Angst fallen!
Was anders ist, muss nicht schlecht sein.
Wer zeigt uns die Welt, wenn nicht die Anderen – die, die auch hier leben, außerhalb unserer Gartenzäune?
Laura Marahrens
Projektleitung: Laura Marahrens, Freie Altenarbeit Göttingen e.V.,
Am Goldgraben 14, 37073 Göttingen, Tel. 0551 – 43606, E-Mail: kontakt@ortemitgeschichte.de
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