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All das sollte uns heute hellwach machen

 

Alexander Selchow – ein bis auf seine schwarze Kleidung eigentlich unauffälliger junger Mann – in der Neujahrsnacht 1990/91 war er auf dem Nachhauseweg zu seiner Großmutter. In einer normalen Rosdorfer Wohnstraße wurde er kurz vor seinem Zuhause und kurz vor Mitternacht von Rechten „geklatscht“ – und er starb trotz intensiver Lebenserhaltungsversuche noch in dieser Nacht.

Rechte und Linke – damals? Wie wurden sie definiert? Wie definierten sie sich selbst? Von Alexander ist nicht bekannt, dass er sich in der linken Szene besonders hervortat, dass er sich in damals nicht unüblichen Protesten besonders engagierte. Schwarze Kleidung eben, die trug er. Und die machte ihn offensichtlich in dieser Nacht zum wohl eher zufälligen Opfer der aufkeimenden oder unterschwellig schlummernden rechten Szene.

Die Täter – junge Menschen wie Alexander – sie waren in ihrem angetrunkenen Zustand auf Rache gesinnt. Gegen wen? Sicherlich nicht gegen diesen jungen Mann Alexander. Wohl aber in ihrem unbestimmten Hass auf alles, was nicht ihrem aggressiven Gedankengut entsprechen wollte. „… lass uns doch ein paar Linke klatschen gehen…“ – das hatten sie zuvor geäußert. So trafen sie auf Alexander. Ein anscheinend kurzer Wortwechsel reizte die beiden Täter. Einer wohl hielt ihn nach späteren Ermittlungen „nur“ fest, der andere stach zu. Schwer verletzt kam Alexander noch ins Krankenhaus, es gab keine Rettung!

Die Täter? Sie wurden gefasst. Nur – es gab milde Strafen für sie, nicht einmal längere Zeit hinter Gittern hatten sie hinzunehmen. Die Beweislage? Die möglichen Zeugen? Die Gesetzeslage? Alles zusammen, wohl auch die Gleichgültigkeit und das Nichtakzeptieren einer gewaltbereiten „rechten Szene“ der Gesetzeshüter wie auch der Bevölkerung verschonte sie vor einer tatgemäßen Strafe.

Und die Erinnerungen heute? Die Würdigung eines offensichtlich unschuldig in den Zeitgeist geratenen jungen Menschen?

Ein Gedenkstein – er ist angebracht an der Stelle seines Schicksals, noch dazu in der Friedensstraße in der seine Großmutter wohnte. Wurde er zufällig oder unbedacht eher unauffällig dicht neben einen Elektroschaltkasten platziert? Konnte er dort größeres Aufsehen vermeiden helfen? Sollte er versteckt werden? Aus Scham? Aus Furcht? Aus Gleichgültigkeit? Wenn ja – wessen Gleichgültigkeit?

Fragen ohne Antwort!

All das – es sollte uns heute hellwach machen. Die „Rechte Szene“, die rechte Gewalt, sie ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Die demokratischen Wahlen der letzten Zeit, sie zeigen eine bedrohliche Kulisse.

Und was tun wir – diese Gesellschaft, die sich als Mitte versteht – was können wir tun?

Auch hier fehlt mir eine schlüssige Antwort! Ein Armutszeichen? Ratlosigkeit? Hilflosigkeit? Mutlosigkeit?

Alles zusammen – keine Antwort eben! Wie erleichternd wenn es denn eine gäbe!

Ute Schmidthals

 

Projektleitung: Laura Marahrens, Freie Altenarbeit Göttingen e.V.,

Am Goldgraben 14, 37073 Göttingen, Tel. 0551 – 43606, E-Mail: kontakt@ortemitgeschichte.de

 


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Projektleitung:

Laura Marahrens

Dieses Projekt ist Teil der „Partnerschaft für Demokratie im Landkreis Göttingen“. Es wird gefördert durch das Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“

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