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Alexander Selchow. Gedenken. Gedanken. Gedankensprünge.

 

01.01.1991. Der Beginn des neuen Jahres war das Ende seines Lebens. Ermordet. Erstochen. Kriminalstatistisch eine Beziehungstat, tatsächlich ein rechtsextremes Verbrechen. Terror. Ein Terroranschlag? Mit diesem Wort verbinde ich eher die ganz großen Attentate, über die in der Tagesschau berichtet wird.

1. Station des Erinnerungsweges. Ein unscheinbarer, fast zu übersehender Gedenkstein. Irgendetwas zwischen Stolperstein und Stehle. Klein, winzig, geduckt neben dem Stromkasten, der alles dominiert. Ist das ein würdiges Gedenken? Ist das ein UnOrt? „Ein UnOrt ist ein Ort für das, was fehlt“, sagt einer von Alexanders Freunden im Video.

2. Station sein Grab auf dem Friedhof. Gestorben 1991. Es ist schon mehr als 30 Jahre her. Es ist erst 30 Jahre her. Kann ich um einen Menschen trauern, den ich nicht kenne? Das Foto auf seinem Grabstein zeigt mir sein junges Gesicht. Ein Leben ausgelöscht, mit 21 Jahren. Trauern kann ich nicht, aber ich kann wütend werden.

„Er mochte die Rechten nicht“, sagt eine ehemalige Freundin in dem Video. Das verbindet uns. Ich mag die Rechten auch nicht. Und ich bin selbst erstaunt, dass mir beim näheren Nachdenken einfällt, dass es sie im Göttinger Raum schon immer gab. Mir fällt dieser Herr Polaczek in Mackenrode ein. Ein schuf ein Umfeld zur Verbreitung der rechten Ideologie, dem Nährboden für rechtsextremistische Gewalttaten.

Rechtsextreme waren im Rosdorfer Ortsbild präsent, damals in den 90ger Jahren. Sie fielen schon äußerlich auf. Glatze, Springerstiefel, Bomberjacke. Aber wurde dieses Erscheinungsbild nicht allzu oft als Ausdruck einer ganz normalen Jugendkultur heruntergespielt. Bagatellisiert. Viel zu lange wurde das Phänomen des um sich greifenden Rechtsextremismus verharmlost. Wir kennen das von den NSU Morden, die uns allen das unfassbare Ausmaß rechtsextremen Terrors vor Augen geführt haben. Musste in Rosdorf erst ein Mord geschehen, um Politik, Verwaltung und Sozialarbeit zum Hinsehen und Handeln zu zwingen?

Heute ist rechtes Gedankengut wieder salonfähig geworden. In der Mitte der Gesellschaft angekommen. Wieder salonfähig oder immer noch. Äußerlich nicht mehr erkennbar durch Glatze und Bomberjacke. Heute verkleidet sich der Wolf im Schafspelz, trägt Anzug und Krawatte, Blazer und Kostüm. Ist aber genauso gefährlich wie die Springerstiefel von damals.

Rosdorfer Bürger*innen haben vor vier Jahren mit dem Erinnerungsweg Alexander Selchow ein eindrucksvolles Zeichen gesetzt. Mit kompletter Rückendeckung aller politischen Parteien im Gemeinderat. Inzwischen ist auch ein starkes „Bündnis gegen Rechts“ entstanden. Das stimmt hoffnungsvoll.

Was können wir aus den vergangenen 30 Jahren lernen? Wir müssen unsere Demokratie verteidigen. Wir dürfen unser Land nicht in die Hände von Faschisten geben. Wir müssen uns für unsere Freiheit einsetzen. Wir brauchen Zivilcourage und ein wachsames Auge. Wir müssen hinsehen, nicht wegsehen. Alle miteinander.

A.K.

 

Projektleitung: Laura Marahrens, Freie Altenarbeit Göttingen e.V.,

Am Goldgraben 14, 37073 Göttingen, Tel. 0551 – 43606, E-Mail: kontakt@ortemitgeschichte.de

 


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Projektleitung:

Laura Marahrens

Dieses Projekt ist Teil der „Partnerschaft für Demokratie im Landkreis Göttingen“. Es wird gefördert durch das Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“

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